Die Festung Magdeburg

Autor: Dr.-Ing. Bernhard Mai

Mit dem Übergang Stadt Magdeburgs an Brandenburg-Preußen im Jahre 1680 beginnt in drei aufeinanderfolgenden Etappen ihr Ausbau zur Landesfestung. Damit endet die mittelalterliche Entwicklung der noch immer von der Zerstörung des 30jährigen Krieges gezeichneten Stadt und ihr beschleunigter wirtschaftlicher Wiederaufstieg.

Zuerst werden die überkommenen Stadtbefestigungen in Stand gesetzt und vor diesen feldsei-tig ein einfacher Wall angelegt. Zwischen 1683 und 1702 folgt der Bau der zwischen Elbarmen gelegenen bastionierten Zitadelle, an deren Fertigstellung sich unmittelbar unter Hin-wegnahme des genannten Walls ein die Stadt im Süden, Westen und Norden umfassender Bastionsgürtel bis 1713 anschließt. Zwischen 1713 und 1740 wird diesem wiederum ein zwei-ter Bastionsgürtel vorgelegt. Die Einbeziehung der Stadt Neustadt in die Umwallung, die zu mindest in Erwägung gezogen wurde unterblieb. Ostelbisch wird die Turmschanze zuerst zu einem Hornwerk, das in Grundriss dem Kopf eines gehörntes Tieres ähnelt, und schließlich zwischen 1717 und 1730 um dieses herum zu einem bastionierten Platz ausgebaut, in dem 1732 auf barocken Grundriss die Stadt Friedrichstadt (Brückfeld) angelegt wird. Zwischen 1700 und 1725 wird die Verstärkung der Elbfront vorgenommen. Dazu zählen vor allem die Anlegung des kasemattierten Fürstenwalls (1722), dessen Südabschnitt erhalten geblieben ist, und der Bau des selbständigen Werkes Fort Stern (1721-1725). 1740, im Jahr des Regie-rungsantritts Friedrich d. Gr., war die Festung Magdeburg als stärkste Festung der Monarchie. Sie konnte die ihr zugedachte Funktion „geheime Hauptstadt“ zu sein erfüllen. Im Siebenjäh-rigen Krieg war sie somit über Jahre hinweg Regierungssitz. Um 1740 setze sich die Festung Magdeburg aus Befestigungsgruppen zusammen, und zwar die Altstadt- und die Friedrich-stadtbefestigung, das Fort Stern und die Zitadelle. Bis um 1870 blieb die Festung als solche, von Ergänzungen und begrenzten umbauten abgesehen, als System unverändert bestehen.

Der Festungsbau stand unter der Leitung des Gouverneurs Leopold I von Anhalt-Dessau (1676-1747). Er berief 1715 Gerhard Cornelius von Walrave (1692-1773), dem späteren Chef des brandenburg-preußischen Festungsbaus zur Vollendung des Festungsbaus nach Magdeburg. Wallrave ist neben Friedrich d. Gr. der Hauptautor der altpreußischen Manier, wie die angewandte Festungsbauweise bezeichnet wurde. Sie zielte u.a. darauf ab, sich dem Gelände anzupassen, jedes Einzelwerk zu detachieren, d.h. seine eigenständige Verteidigung zu ermöglichen, eine gute Vorfeldbestreichung zu ermöglichen und Kasematten zum Schutze von Mannschaften und Material zu besitzen. Die in Magdeburg verwendeten Elemente waren detachierte Fünfeckbastionen, sich zwischen ihren Flanken erstreckende Niederwälle, Tenail-len, und Ravelins, Vorschanzen. Sie waren durch Futtermauern begrenzt und durch Gräben voneinander getrennt.

Von 1806 bis 1814 war Magdeburg französisch besetzt. Napoleon erkannte die strategische Bedeutung der Festung und ließ nicht nur ihre Werke verstärken, sondern auch Sudenburg und Neustadt zur Schaffung eines freien Schussfeldes für die Festungsartillerie abreißen und außerhalb desselben an ihren heutigen Standorten neu errichten. Vom Herbst 1813 bis Mai 1814 wurde Magdeburg von einem immer enger werdenden Belagerungsring der verbündeten Preußen und Russen umschlossen. Eine notvolle Zeit für die Bevölkerung!

In der Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866) konzentrierte sich der Festungsbau in Preußen auf seine Ost- und Westgrenze. Daher begannen die Festungswälle mehr und mehr die wirt-schaftliche Entwicklung Magdeburgs zu behindern. Pläne zu Stadterweiterungen blieben un-verwirklicht. Die vorhandenen Werke wurde lediglich den neuen Anforderungen angepasst, wie die Neugestaltung der Wallpassagen im Zuge des Chausseebaus, die Eisenbahnfestungs-tore und der Ersatz von drei Tenaillen durch verteidigungsfähige Defensivkasernen.

1866 bekam Magdeburg einen Fortgürtel, der 1890 bis 1892 nochmals modernisiert wurde. Der letzte einschneidende Umbau der Festung, der mit einer Stadterweiterung verbunden war, erfolgte zwischen 1869 und 1874. Die überkommenen Werke der Süd- und Westfront wurden abgetragen und durch neue, weniger Fläche beanspruchende Werke nach der neudeutschen Festungsmanier ersetzt. Damit trug man dem militärtechnischen Fortschritt und der unum-gänglichen Erweiterung der Altstadt Rechnung. Die übrigen Werke, voran die der Zitadelle, der Nord- und Nordwestfront und der Friedrichstadt, wurden mehr oder minder umgebaut bzw. modernisiert. Der Umbau der Süd- und Westfront bedeutete die Errichtung einer neuen durchgehenden Wallinie, Enciente, bestehend aus Kavalieren und die sie verbindenden Kurti-nen, Niederwälle. Kavaliere sind überhöhte und unterschiedlich kasemattierte Wallabschnitte, von denen aus das Vorfeld bestrichen werden konnte. Stadtseitig verlief die neue Wallstraße und feldseitig der Hauptgraben mit dem anschließenden Glacis. Wichtige Punkte der polygo-nal gebrochenen Enciente wurden durch Ravelins verstärkt, die Fünfeckbastionen glichen. Die Ravelins schützen insbesondere die durch die Kurtinen führenden Straßenpassagen, wäh-rend die Eisenbahnstrecken durch die Kavaliere hindurchführten.

Durch die Erfindung des Brisanzgeschosses, dass die erdabgedeckten Ziegelgewölbe der Ka-sematten durchschlug und die Geschützstellungen auf den Kavalieren binnen kurzem aus-schalten konnte, war die neue Umwallung wertlos geworden. Hinzu kam, dass das Vorfeld, der Rayon, trotz gegenteiliger Vorschriften zunehmend bebaut wurde. So wurden ab 1888 beginnend mit der Nordfront die Werke der Kernfestung aufgegeben. Magdeburg kam bis 1900 als minder wichtige Festung nur noch die Aufgabe zu, mittels des Fortgürtels für einen Truppenrückzug hinhaltenden Widerstand leisten zu können. 1912 wurde schließlich die Fes-tung aufgehoben. Die Werke, die an verschiedene Eigentümer übergingen, wurden abgetragen bzw. einer neuen Nutzung, z.B. Stadterweiterung und soziale und kulturelle Zwecke zuge-führt. Das Fortbestehen wesentlicher Teile der Westfront ist dem Umstand zu verdanken, dass sie einer geplanten Erweiterung des Hauptbahnhofs dienen sollte.